Wandel durch Annäherung

 

Der Customer-Lifetime-Value sinkt, der Kunde wandert ab. Oder etwa doch nicht? Ebendieser Indikator kann vom vermeintlichen Misserfolg zum Unternehmenserfolg führen – die wichtigste Voraussetzung dafür: eine kundenzentrierte Betrachtung. Denn es ist genauso möglich, dass sich lediglich die Lebenssituation des Kunden verändert hat. Durch Erkennung neuer Kundengewohnheiten lassen sich somit auch angepasste Customer-Journeys entwickeln. Inwiefern sich die Kundenbeziehung gewandelt hat, wie neuartige Tools erfolgreich eingesetzt werden können und wie der Kunde wieder in den Fokus gerät, hat der DDV in einem informativen Beitrag zusammengefasst.


Der ThinkTank One-to-One-Multichannel empfiehlt ein Umdenken im Marketing
Autor Nikolaus von Graeve, 46,
ist Vorsitzender des ThinkTanks One-to-One-Multichannel und Geschäftsführer von rabbit eMarketing in Frankfurt. Am Beitrag mitgewirkt haben außerdem: Mark Brauch (PAYBACK), Helmut Briggl (DEFACTO Realations), Christian Heinrich (DekaBank), Petra Maelzer (Inxmail) und Mathias Rochlitz (Deutsche Post).
Nichts bleibt, wie es ist. Das betrifft auch die Kommunikation von Unternehmen mit ihren Kunden. Wie Unternehmen werben, wie sich Kunden über Produkte informieren, was sie zum Kauf bewegt, hat sich in den vergangenen 20 Jahren erheblich verändert. Vor der Jahrtausendwende war Werbung überwiegend printlastig. Marketer überfluteten reichweitenstarke Zielgruppen mit einer zentralen Werbebotschaft nach dem Gießkannen- Prinzip und nahmen dabei immense Streuverluste in Kauf. Erste Techniken in der Kundenanalyse sowie steigendes Kostenbewusstsein für Werbung führten Anfang des Millenniums zu einem stärkeren Einsatz digitaler Kommunikationskanäle wie Webseiten und E-Mails. Damit wurde die Gießkanne aber bloß digital, kundenindividuelle Inhalte und Ansprache fehlten weiterhin. Das änderte sich mit der UWG-Novelle von 2008 und dem Grundsatz des Permission-Marketings. Dadurch stiegen das Bewusstsein für Opt-in-Verfahren und die Möglichkeiten, potenzielle Kunden durch personalisierte Informationen anzusprechen. Zehn Jahre später hat die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union weitere Bedingungen an die Datenerhebung für digitale Kommunikation gestellt. Das war notwendig, denn inzwischen erfolgen Zielgruppenselektionen und Angebotszuteilungen für zeitgesteuerte Kampagnen kontext- und datenbasiert. Was treibt diesen Wandel? Sicherlich die gesellschaftlichen Erwartungen und rechtlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise beim Datenschutz. Aber auch die Rentabilität der Werbung. Seit Jahren rücken, bedingt durch bessere technische Messbarkeit, die Performance sowie die Kosten von Werbemitteln und Angeboten stärker in den Fokus. Aber auch die Kundenerwartung an bedarfsorientierte, relevante Werbung nimmt zu. Überzeugt das Angebotserlebnis nicht, sinkt der gefühlte Wert der Ansprache und damit das Unternehmensimage. Kunden reicht es längst nicht mehr, nur noch einzukaufen. Für Werbungtreibende ist es deshalb wichtig, diese veränderten Erwartungen beim Kanaleinsatz sowie bei den Mechaniken zur Kundenselektion und -ansprache zu beachten.
Kunden akzeptieren das Bombardement mit Werbung nicht mehr  
Lange funktionierte Werbung nach einem bewährten System: Ideen wurden erdacht, Konzepte geschrieben, Texte, Layouts und Mediapläne erstellt. Die Kampagnen wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt gestartet. Das klappte – bis vor kurzem. In den beiden vergangenen Jahrzehnten haben sich neue, intelligente Tools und Systeme rasant entwickelt. Sie bieten mehr Möglichkeiten denn je. Gleichzeitig haben sich auch die Empfänger der Werbebotschaften verändert.
Empfänger
  • akzeptieren das Bombardement mit Werbebotschaften nicht mehr
  • erwarten eine persönlichere Ansprache und individuellere Botschaften wollen
  • nicht mehr nur einer unter vielen sein wissen, dass Werbung besser geht – und erwarten das auch
Unternehmen haben jetzt die Möglichkeit, aber auch die Aufgabe, individuell mit den Empfängern der Botschaften zu kommunizieren: weg von einer Botschaft für alle – hin zu einer individuelleren, persönlichen Kommunikation. Und falls dies für den Empfänger relevant ist, führt es sogar zu echtem Eins-zu-eins-Dialog. Es lässt sich mit dem 4R-Modell beschreiben: die richtige Botschaft zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal an die richtige Zielperson. Die Kommunikation nach dem 4R-Modell ist ein wichtiger Baustein, um die digitale Transformation zu meistern. Letztlich geht es darum, den Human Touch nicht zu vernachlässigen. Das Ziel einer respektvollen Kundenbeziehung erreichen Unternehmen, wenn sie es schaffen, eine emotionale Bindung zu ihren Kunden aufzubauen, die sich nicht in der möglichst präzisen Ansprache mit einzelnen Kommunikations-Schnipseln erschöpft, sondern für die Kunden ein in sich rundes Bild ergibt. Viele Unternehmen sind heute technisch in der Lage, so zu kommunizieren. Die Herausforderung besteht jetzt darin, Planung, Organisation und Vorgehensweisen so zu ändern, dass die technischen Möglichkeiten auch ausgeschöpft werden können. Es braucht ein neues Denken im Marketing und ein neuartiges Verständnis für die Beziehung zu den Kunden.
Die Customer-Journey lässt sich individuell und skalierbar gestalten
Der ThinkTank One-to-One Multichannel
Der ThinkTank des DDV hat es sich zur Aufgabe gemacht, Unternehmen Hilfen zur Implementierung von Strategien für den One-to-One- Multichannel an die Hand zu geben. Dazu sollen unter anderem eine Sammlung von Best-Practice- Cases zusammengestellt und eine Publikationsreihe entwickelt werden. Die Teilnehmer des ThinkTanks treffen sich drei- bis viermal im Jahr an verschiedenen Orten. Dazwischen tauschen sie sich über die Plattform Tixxt.com aus: https://One-to-One-multichannel. tixxt.com
Fast alle Prozesse werden durch vorhandene Strukturen gestützt. Bislang wurden abgrenzbare Bereiche, beispielsweise die Verantwortung für verschiedene Kanäle, in separaten Abteilungen, den berüchtigten Silos, geplant. Ein gemeinsames Ziel erfordert jedoch ein barrierefreies Handeln und Denken über solche Strukturen hinweg. Der einzelne Kunde kann durch eine individuelle Planung effektiver und effizienter erreicht werden. Jeder Touchpoint wird nicht durch die Mediaplanung, sondern vom Kunden ausgewählt. Darum muss der Kunde im Zentrum stehen. Gleichzeitig muss ein Touchpoint aber auch ein homogenes Bild davon vermitteln, was der Werbungtreibende transportieren möchte. Automatisierte, kanalübergreifende Prozesse bilden die Basis für eine erfolgreiche One-to-One-Kommunikation und müssen auch in der Unternehmensstruktur verankert sein. Diese Aufgabe muss zentral organisiert und bereichsunabhängig etabliert werden. Um den Prozess zu managen, stehen den Verantwortlichen zahlreiche Werkzeuge zur Automatisierung zur Verfügung. Die Customer- Journey kann so skalierbar, individuell und mit einer stringenten Botschaft gestaltet werden. Die Customer-Journey wird maßgeblich durch Daten und Technik gesteuert. Dazu sind jedoch detaillierte, systemunabhängige Daten erforderlich. Abgeschottete Datensammlungen gehören der Vergangenheit an. Die Daten müssen bereitgestellt und zusammengeführt werden, denn nur so können sie durch technische Hilfsmittel extrahiert, strukturiert und zielgerichtet genutzt werden. Das betrifft alle Daten: Informationen aus dem Onlineshop genauso wie von der Kundenkarte, aus dem Support ebenso wie zur Abrechnung. Technische Hilfsmittel wie Systeme zur Marketing- Automation ermöglichen in kurzer Zeit einen Überblick über das Kunden-Öko-System. Durch die Analyse individueller Präferenzen lassen sich Automationsstrecken aufsetzen, die in einzelnen Punkten auf Segmenten beruhen – etwa Customer-Lifetime-Value oder Produktvorlieben –, in Kombination jedoch eine Einzelansprache ergeben. Es entsteht ein Prozess, der einmal aufgesetzt wird und dann nur noch situativer Korrekturen bedarf. Die Transformation der Kommunikation bietet die Chance für jeden Mitarbeiter, sein Wissen und seine Erfahrung einzubringen. Neue Abläufe und Techniken, deren Nutzung bisher nicht notwendig war, führen aber auch zu Unsicherheiten und Ängsten. Darum müssen alle Beteiligten in den Veränderungsprozess eingebunden werden und ihn tatsächlich mitgestalten können. Fortbildungen können ein Weg sein. Häufig ist aber schon der innerbetriebliche Austausch hilfreich, um Fähigkeiten auszubauen, Verständnis zu schaffen und Ängste abzubauen.
Neue Kundengewohnheiten müssen auch zu anderen Bewertungskriterien führen  
Jedes Unternehmen verfolgt Ziele, die anhand von KPIs und Reporting-Strukturen überprüft werden können. Diese auf Bruttoergebnisse zu reduzieren, reicht heute allerdings nicht mehr aus. Die häufig genutzte Kennzahl „Conversion“ als singulärer Indikator wird der multidimensionalen Kundenzentrierung nicht gerecht. Damit ließe sich zwar eine Veränderung registrieren, jedoch würden die Einflussfaktoren durch veränderte Kundengewohnheiten außen vorgelassen. Zudem kann Conversion eine Kennzahl für einzelne Abteilungen, nicht aber die des gesamten Unternehmens sein. Unternehmen neigen dazu, Kunden zu incentivieren, wenn sie über einen bestimmten Kanal einkaufen. Das führt dazu, dass es nicht zu einer ganzheitlichen Betrachtung kommt und die Silo-Verantwortlichkeiten gestärkt statt überwunden werden. Sinnvoller wäre es, für Mitarbeiter Anreize zu setzen, Kunden kanalunabhängig zu konvertieren. Die Veränderung der Kundengewohnheiten bedarf auch eines Umdenkens bei den Bewertungskriterien der Unternehmen. So kann ein sinkender Customer-Lifetime-Value ein Indikator für eine Kunden-Abwanderung sein. Ebenso kann er jedoch auch eine veränderte Lebenssituation widerspiegeln. Eine Überarbeitung der Berichtsstrukturen und eine verfeinerte Auswahl der relevanten Kennzahlen sind erforderlich, um eine kundenzentrierte Betrachtung zu ermöglichen und langfristig den Unternehmenserfolg zu sichern.